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Hundert Jahre Allgemeine Relativitätstheorie – Wissenschaft macht Theater

Vor hundert Jahren, am 25. November 1915, stellte Albert Einstein in Berlin vor der Preussischen Akademie der Wissenschaften die Allgemeine Relativitätstheorie vor. Die Welt befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem mörderischen Krieg, der die bis dahin geltende politische Ordnung hinwegfegen würde. Die technisch-industrielle Revolution hatte zu großen sozialen und kulturellen Verwerfungen geführt. Und nun sollten auch noch Zeit und Raum relativ werden! Kein Wunder, dass die Relativität heiße Verfechter und erbitterte Gegner hatte. Das Stück „Transcendence“, das am 20. November im English Theatre Berlin uraufgeführt wurde, thematisiert die Spannung zwischen dem Streben nach Transzendenz von Albert Einstein und vier anderen Persönlichkeiten seiner Zeit und der nicht zu entfliehenden geschichtlichen Realität.

Die Relativitätstheorie hatte starke Unterstützer wie Max Planck, aber gleichzeitig wurde sie teilweise heftig angegriffen von „Anti-Relativisten“ wie Philipp Lenard oder Ernst Gehrcke. Als 1919 britische Astronomen bei einer Sonnenfinsternis die Beugung von Sternenlicht beobachteten, so wie Einstein es vorhergesagt hatte, und damit den ersten praktischen Beweis lieferten, wollten viele Wissenschaftler die überfällige Verleihung des Nobelpreises an Einstein trotzdem weiterhin verhindern. Die Auseinandersetzungen gingen über wissenschaftliche Argumente, die Theorie beruhe lediglich auf „gewagten mathematischen Spekulationen“, bis hin zu antisemitischer Hetze: es handle sich um „jüdische Physik“. Einstein erhielt Morddrohungen und verliess schliesslich 1932 endgültig Deutschland.

„Die Zeiten waren unglaublich absurd und Deutschland näherte sich seiner dunkelsten Stunde.“ beschreibt Günther Grosser, Direktor des English Theatre Berlin, die Einzigartigkeit des historischen Momentes. Soziale Konventionen wurden über den Haufen geworfen und die Menschen bekamen eine neue Perspektive von Freiheit, riskierten neue Lebensstile und auch die Demokratie. „Bis dann die Welt auseinanderbrach und sich alles in sein Gegenteil verkehrte.“ Robert Marc Friedman, Autor von „Transcendence“ sagt: „Für einige kündigte Relativität eine neue Epoche einer europäischen Erneuerung an. Für andere verkörperten Einstein und Relativität eine hinterlistige, öffentlichkeitsheischende jüdische Konspiration gegen die traditionellen Werte von Wahrheit, Schönheit und Güte, und gegen eine experimentelle Physik, die auf gesundem Menschenverstand beruht.“

Das Theaterstück zeigt in drei sich verwebenden Handlungssträngen die prominenten Zeitgenossen Franz Kafka, Albert Einstein, Max Planck und die Mitglieder des Nobelpreiskommittees Allvar Gullstrand und Carl Wilhelm Oseen. In seiner Erzählung „Die Verwandlung“ liess Kafka das Ich zu einem Käfer mutieren. Einstein hebelte mithilfe mathematischer Formeln die bis dahin ehernen Konstanten Zeit und Raum aus. Am Ende holte sie beide ihre jüdische Identität ein. Die Ironie der Protagonisten bestünde darin, so Friedman, dass sie versuchten, Zeit und Raum zu transzendieren, aber permanent vom Hier und Jetzt zurückgezogen würden auf den Boden der Realität. Die Wissenschaftler Planck und Einstein verband die Liebe zur Musik und zur theoretischen Physik, aber ihre politischen Einstellungen – Planck ein reaktionärer Nationalist und Einstein ein pazifistischer Internationalist – trieben ihre Freundschaft letztendlich auseinander. Oseen und Gullstrand sind Gegenspieler bei der Entscheidung zur Nobelpreisvergabe und es wird gezeigt, „in welchem Ausmaß Politik, nationale Zugehörigkeit und die Autorität gegen die Expertise bei dieser Krönung der Allerbesten eine Rolle spielten“, so Friedman.

Der aus New York stammende Robert Marc Friedman ist in einer seltenen Mischung Wissenschaftshistoriker und Theaterautor. Er hat sich historisch mit der Politik der Nobelpreisvergabe beschäftigt und Theater ist für ihn ein Medium, das auf einzigartige Weise die Unmittelbarkeit von Gefühlen vermitteln könne. Denn Drama gehöre sehr wohl zum sozialen, moralischen und beruflichen Dilemma des Wissenschaftlers, wie er um Anerkennung, Finanzierung und neue Entdeckungen kämpfe.

Science & Theatre bringt seit fünf Jahren Stücke auf die Bühne, um Wissenschaft einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. In dem transdisziplinären Projekt bringen die Initiatoren, die Mikrobiologieprofessorin Regine Hengge von der Humboldt Universität und Günther Grosser vom English Theatre Berlin, Nachwuchswissenschaftler und Theatermacher zusammen. Diesmal haben bei der Entwicklung des Stückes Wissenschaftshistoriker des Max Planck Institutes und der Technischen Universität mitgewirkt. Vermittelt werden soll nicht Faktenwissen, sondern vielmehr, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert, wie es zu großen Entdeckungen kommt und auch, welche Konsequenzen Erkenntnisse haben, welche sozialen und ethischen Fragen sie aufwerfen. So ging es in der turbulenten Groteske „Isaac‘s Eye“ um Newton und unter anderem um die Frage, wie man über falsche Theorien zu richtigen Erkenntnissen gelangen kann. Das Stück „A Number“ behandelte in einer Utopie das Thema des Klonens von Menschen und fragte: Wer ist eigentlich Ich? Was macht mich als Individuum aus? Meine Gene, meine Erziehung? Von den Theaterstücken profitieren letztendlich auch Wissenschaftler selbst, die oft in ihrer Spezialisierung den Blick aufs Große verlieren und denen es manchmal schwer fällt, die Konsequenzen wissenschaftlicher Entdeckungen zu sehen.

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