Emmanuelle Charpentier, Mikrobiologin und Entdeckerin einer revolutionären Technologie zur Veränderung von Erbinformation, wird Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.
Als „Le petit charmante monstre du génie génétique“ wird Emmanuelle Charpentier von der französischen Zeitung Le Monde bezeichnet. Das kann man übersetzen mit „das kleine charmante Ungetüm genetischer Genialität“. Und tatsächlich sieht man es der zierlichen 46 jährigen Französin nicht an, dass sie Verursacherin einer Revolution in der Gentechnologie ist. Und ebenso erscheint das von ihr entwickelte molekulare Werkzeug klein und elegant, und ist doch eine machtvolle Technologie, die die Laboratorien der Welt erschüttert.
Gerade einmal vier Jahre ist es her, dass die zentralen Veröffentlichungen zu dem System mit dem sperrigen Namen CRISPR-Cas9 in den renommierten Fachmagazinen Nature und Science erschienen. Seitdem hält es unaufhaltsam Einzug in allen Bereichen der Lebenswissenschaften, denn die Technologie lässt sich problemlos bei allen Lebensformen von Pflanzen und Fruchtfliegen bis hin zu menschlichen Zellen anwenden. Einfach zu handhaben, präzise und billig kann sie fast jede beliebige Veränderungen der Erbinformation designen. Das weckt insbesondere wieder neue Hoffnungen auf Therapien für vererbte Krankheiten, aber lässt auch Diskussionen über ethische Fragen erneut aufflammen.
Dieses Jahr erhielt sie zusammen mit ihrer Kollegin Jennifer Doudna den Breakthrough Prize in Life Sciences der für besondere Forschungsleistungen in den Biowissenschaften vergeben wird. Es folgten weitere Auszeichnungen, wie der Ernst Jung-Preis für bedeutende Arbeiten im Gebiet der Humanmedizin oder der Louis-Jeantet-Preis für exzellente Grundlagenforschung in der Medizin. Vom Time Magazin wird sie zu den 100 einflussreichsten Personen gezählt und auch der Nobelpreis ist für Insider nur noch eine Frage von, wann und mit wem zusammen. Die Max-Planck-Gesellschaft hat sie nun als Direktorin des Max-Planck-Institutes für Infektionsbiologie nach Berlin geholt. „Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, eine so herausragende Wissenschaftlerin für die Max-Planck-Gesellschaft zu gewinnen und somit in Deutschland zu halten“, erklärt Martin Stratmann, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Charpentier erwidert bescheiden: „Diese Position ist eine besondere Gelegenheit für mich und ich bin sehr glücklich, meine Forschung in Deutschland fortsetzen zu können und auch das Gebiet der Mikrobiologie innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft zu stärken. Ich freue mich auch sehr auf die Zusammenarbeit mit meinen neuen Kollegen am Institut.“ Und auch Berlin sei eine sehr interessante Stadt, in der sie gern lebe und arbeite.
Bei all dem Trubel bleibt ihr Auftreten auffällig zurückhaltend. Tatsächlich scheint der Habitus des Erfolges sich an ihr noch nicht verfestigt zu haben. Mit der ständigen riesigen Aufmerksamkeit umzugehen sei keine natürliche Übung für einen Wissenschaftler, erklärt sie uns. Es habe einige Zeit gedauert, sich an das überwältigende Interesse zu gewöhnen. Glücklich nimmt sie die Trophäen der Wissenschaft entgegen, versucht jedoch sogleich, ihnen eine übergeordnete Bedeutung zu geben: „CRISPR-Cas9 ist ein ausgezeichnetes Beispiel für einen wissenschaftlichen Durchbruch, der seinen Ursprung in der reinen Grundlagenforschung hat und das ist etwas, das in der Öffentlichkeit und den Medien hervorgehoben werden sollte. Es zeigt, dass es keine obsoleten Themen gibt - man kann interessante Entdeckungen in vielen Bereichen der Forschung machen.“ Und wirklich ruft in der mikrobiellen Grundlagenforschung die Erwähnung eines möglichen Nobelpreises normalerweise eher ein müdes Lächeln hervor. Dass es eine Mikrobiologin, die sich für grundlegende Lebensprozesse von Bakterien interessiert, so weit bringt, ist außergewöhnlich.
In der Einfachheit elegant
Charpentiers Forschungsfeld ist der Infektionsprozess von Bakterien. „Wir begannen mit einer fundamentalen Frage: Wie regulieren Bakterien die Expression ihrer Gene, um Krankheiten in Menschen auszulösen. Am Ende haben wir einen Weg entschlüsselt, wie Bakterien sich selbst vor einer Infektion durch Viren schützen. Dies führte zu der Entwicklung der CRISPR-Cas9 Technologie.“ Sie fing früh an, sich mit ihrem Team für kleine RNAs zu interessieren. Das sind Transkripte von kurzen Abschnitten der Erbinformation, die man früher für unnötig gehalten hatte. Inzwischen weiß man, daß sie wichtige Funktionen bei Regulationsprozessen haben, also der Kontrolle darüber, wann Gene übersetzt werden. Sie spielen nicht nur bei der Infektion eines Wirtes eine Rolle, sondern das Bakterium wehrt sich mit ihrer Hilfe auch selbst vor dem Angriff durch Viren.
Denn auch Bakterien können krank werden und verfügen über eine ausgeklügelte Immunabwehr. Dabei kommt das CRISPR-Cas9-System zum Einsatz. CRISPR sind solche kurzen Abschnitte der DNA, die als Gedächtnisspeicher früherer Infektionen durch Viren dienen. Es dient so als Blaupause, um bei erneuter Infektion die eingeschleuste Erbinformation des Virus zu erkennen und mithilfe der Cas Proteine zu zerschneiden und damit unschädlich zu machen.
Was Charpentier den Ruhm einbrachte, war, dass sie erkannte, wie gut sich dieses System eignet, um jede gewünschte Genveränderung zu erzielen. Die Sequenz von CRISPR kann nämlich an jede beliebige Ziel-DNA angepasst werden, die dann durch Cas9 geschnitten wird. Bei geschicktem Einsatz verschiedener Schnittstellen können Abschnitte der DNA ausgeschnitten, eingefügt oder ergänzt werden, sogar an mehreren Stellen gleichzeitig. Die Eleganz besteht in der Einfachheit des Systemes, das nur aus einem Protein und einer RNA besteht. Und es erzielt hohe Präzision durch die leicht zu modifizierende DNA-RNA Paarung, während bisherigen Instrumenten eine sehr viel schwieriger zu konstruierende DNA-Protein Wechselwirkung zugrunde liegt. Rasend schnell wurde die Technologie übernommen und weiter entwickelt von Erforschern höherer Organismen. 450 Veröffentlichungen mit diesem System gab es bisher allein in diesem Jahr.
Charpentier erzählt uns, sie sei selbst überrascht, wie schnell die Technologie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft angenommen wurde. Ihre Wirksamkeit, Einfachheit und Vielseitigkeit mache sie für eine große Zahl von Wissenschaftlern attraktiv. „Diese ungewöhnlich schnelle Einführung zeigt, wie dringend Biologen auf der Suche nach einem besseren Werkzeug waren, um Gene in höheren Organismen zu manipulieren.“
Inzwischen findet die CRISPR-Cas9 Technologie Anwendung in der Human- und Veterinärmedizin, der landwirtschaftlichen Biotechnologie, der Entwicklung von Life-Science-Reagenzien und Diagnostika. Auch in Tausenden von akademischen Laboren auf der ganzen Welt hat sie zu Grundlagenforschungszwecken Einzug gehalten. „Eine der wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten ist ihr Potenzial, neue Therapieansätze für schwerwiegende humane Erkrankungen zu liefern“, sagt Charpentier. „In diesem Bereich wird die Technologie hoffentlich das Leben vieler Patienten, die derzeit an schwerwiegenden Krankheiten leiden, verändern.“ Charpentier hat auch eine Firma namens CRISPR Therapeutics mitbegründet, die sich für die Entwicklung therapeutischer Ansätze interessiert. Auf die Frage, was das Geheimnis großer Entdeckungen wie dieser sei, antwortet sie: „Für mich ist das Geheimnis hinter großer Wissenschaft immer harte Arbeit, gepaart mit Neugier für das, woran man gerade arbeitet, Ausdauer und die Beharrlichkeit, nicht zu schnell aufzugeben, Offenheit für neue Fragen und Forschungsfelder, aber natürlich auch eine kleine Portion Glück.“
Inspiration und Freiheit durch häufige Ortswechsel
Und Beharrlichkeit hat sie bewiesen. Sie hat den üblichen komplizierten Werdegang eines Forschers hinter sich durch viele Länder und Städte. Nach Studium und Promotion am Pasteur-Institut in Paris ging sie für mehrere Jahre nach New York und Memphis in den USA. 2002 kam sie zurück nach Europa an die Universität Wien, wo sie habilitierte. Das EMBL (Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie), eine Einrichtung, die exzellente Grundlagenforschung unterstützt, erkannte den Wert ihrer Forschung und ermöglichte ihr gut ausgestattet, eine Forschungsgruppe an der Universität Umeå in Schweden aufzubauen. “Dies gab mir die Zeit und die Mittel, einige riskante Wege einzuschlagen.“ Im Jahr 2012 dann wechselte sie an das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, blieb aber Umeå verbunden und lehrte ausserdem an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie erklärt, dass es für sie sehr inspirierend gewesen sei, an vielen Orten zu leben und verschiedene Forschungsumfelder zu erleben. „Von Außen zu kommen ermöglicht es oft, freier zu denken und hilft bei der Entwicklung innovativer Ansätze zur Bearbeitung wissenschaftlicher Fragen.“ Auch die Chance, mit neuen Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten, sei immer eine immens wertvolle Gelegenheit. 2014 erhielt sie die Humboldt Professur, ein hoch dotierter Preis, der dazu gedacht ist, ausländische Spitzenforscher ins Land zu holen, beziehungsweise in ihrem Fall, im Land zu halten. Die jetzige Position mit hervorragenden Konditionen bedeutet wohl eine dauerhaftere Bindung an Berlin. Die Antwort auf die Frage, ob sie denn nun sesshaft werde, bleibt sie aber geschickt schuldig: „Ich freue mich sehr auf mein neues Labor in Berlin und auf das inspirierende wissenschaftliche Umfeld des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie und der umliegenden Einrichtungen wie der Humboldt-Universität und der Charité, und ich bin gespannt darauf, was die Zukunft bringt.“
Forderung einer globalen Debatte über ethische Fragen – keine leichte Aufgabe
Innovative Entdeckungen in der Gentechnologie finden nicht nur Freunde. In Deutschland, und vor allem in Berlin gibt es eine sehr kritische Zivilgesellschaft, die sich vehement gegen gentechnisch veränderte Nutzpflanzen oder Forschung an embryonalen Stammzellen wehrt. Eine so einfach zu handhabende Technik wie CRISPR-Cas9 wird die Herstellung gentechnisch veränderter Tiere und Pflanzen beschleunigen, zu welchem Zweck auch immer. Die Palette der Möglichkeiten ist groß und die Entwicklung rasant. Im April haben chinesische Wissenschaftler den Versuch publiziert, menschliche Embryonen mithilfe von CRISPR-Cas9 genetisch zu verändern. Die embryonalen Zellen waren nicht lebensfähig, da neben den erwünschten Veränderungen andere unerwünschte genetische Modifikationen auftraten. Der Aufschrei in der wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Welt war laut. Was passiert, wenn solche Embryonen überleben und das eventuell mit ernsthaften Defekten? Wer kann verhindern, dass solche Versuche in der Keimbahn des Menschen nicht zur Heilung, sondern zur „Verbesserung“ des Erbgutes eingesetzt werden? Zwar ist die Debatte nicht neu, denn Werkzeuge zur Genveränderung gibt es schon lange, aber die Möglichkeit mithilfe von CRISPR-Cas9 alle erdenklichen Ideen schnell umzusetzen, zwingt uns, die offenen Fragen bald zu beantworten. Inzwischen fordern viele Wissenschaftler ein Moratorium für Versuche zur Veränderung der Erbinformation in der Keimbahn des Menschen.
In einem Artikel in Nature äußert auch Charpentier ernsthafte Bedenken, was derartige Experimente angeht. Wie sieht sie die Risiken der von ihr entwickelten Technologie? Sie erklärt, als Wissenschaftler auf dem Weg zu einer wichtigen Entdeckung mit dem Potenzial für eine bahnbrechende therapeutische Anwendung neige man dazu, in erster Linie an die möglichen Vorteile der Entdeckungen und all das Gute, das daraus entstehen könnte zu denken. Das Bewusstsein dafür, wie die Entdeckung missbraucht werden könnte, sei aber ebenso wichtig. „Als Wissenschaftler“, so Charpentier weiter, „muss man die Tatsache anerkennen, dass neue Erkenntnisse und deren Anwendung immer eine Verantwortung mit sich bringen. Es ist wichtig, zu erkennen, dass, wie bei jeder anderen Technologie zur Modifikation von Genen, Sicherheit und Wirksamkeit für jede potenzielle Therapie von Patienten gewährleistet sein muss und dass jede ethisch nicht vertretbare Verwendung der Technologie verhindert werden muss.“
Charpentier tritt öffentlich für einen bewussten Umgang mit der neuen Technologie ein, wobei ihr aber wichtig ist, dass dabei die nützlichen und sicheren Anwendungen nicht verhindert werden. Sie fordert eine breite und globale Debatte, die alle Beteiligten mit einbezieht: die Wissenschaftler in so vielfältigen Disziplinen wie der Landwirtschaft und Biomedizin, politische Entscheidungsträger, Ärzte, Medikamententwickler, Patienten und die breite Öffentlichkeit auf der ganzen Welt. Dies sei unerlässlich, um sicherzustellen, dass wir in der Lage sind, einen Missbrauch der Technologie zu verhindern, und zwar ohne Einschränkung und Behinderung der Forschung und Entwicklung in den sicheren und nützlichen Anwendungen. „Die Welt ist enger zusammengerückt und es ist entscheidend, einen transparenten Dialog rund um den Globus über die ethische Nutzung von Technologien zu initiieren und zu erhalten und damit sicherzustellen, dass sie nicht missbraucht werden. Es müssen unbedingt gemeinsame globale Initiativen und Richtlinien geschaffen werden, um dafür Sorge zu tragen, dass die sichere und ethische Verwendung der Technologien gefördert und unethische oder schädliche Anwendungen vermieden werden.“ Und sie fügt hinzu: „Auch wenn dies keine leichte Aufgabe ist.“
Foto: Hallbaner/Fioretti Fotografie