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Divers und barrierefrei: Wissenschaft von der Seifenkiste

Samstag Nachmittag, Berlin-Alexanderplatz, Weltzeituhr: Vier Frauen stehen auf hölzernen Seifenkisten und reden zu einer Schar aufmerksamer Zuhörer. Nur ihre weißen Laborkittel weisen darauf hin, dass es sich um Wissenschaftlerinnen handelt. Das Ziel dieser Aktion: Wissenschaft vom Elfenbeinturm auf die Strasse holen und zeigen, wie divers sie ist.

Eine zierliche, junge Frau hält in einer Hand eine Plastikflasche hoch, in der anderen einen Magneten und redet von Materie und Fraktalen: Teresa Bautista Solans vom Max-Planck Institut für Gravitationsphysik ist Quantenphysikerin. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das verstehen kann“, sagt später eine Zuhörerin. „Aber sie hat es so schön und lebendig erzählt.“ Die ältere Dame ist der Ankündigung von „Soapbox Science“ in der Zeitung gefolgt und hat ihre Freundin und einen Klappstuhl mitgebracht. Nun wechseln die beiden von einer Rednerin zur nächsten und erfahren zum Beispiel von der Mathematikerin Giulia Codenotti, wie man mit Seifenblasen mehrere Dimensionen sichtbar machen kann, oder von Yara Haridy vom Naturkundemuseum, wie sie Heilungsprozesse von gebrochenen Dinosauerierknochen erforscht. Die Wissenschaftlerinnen entfalten dabei teilweise richtiges Entertainment-Talent. Die Zuhörer klatschen und jubeln.

Tanja Straka, Fledermausforscherin vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, zieht auch die Kinder an. Diese haben jede Menge Fragen an die Forscherin: Was fressen die Fledermäuse, wann fliegen sie? Heiße Diskussionen gibt es auch bei Susanne Wegmann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Sie erklärt, wie kleine Proteintropfen im Gehirn zu Alzheimer führen können. Das Publikum fragt und sie versucht zu antworten: Wie kann ich mich ernähren, um mich vor Alzheimer zu schützen? Werden noch Teilnehmer für Studien gesucht? Und dann wird Wegmann noch gefragt, ob sie persönliche Erfahrungen mit der Krankheit habe oder warum sie das eigentlich erforsche. Die Distanz zwischen Wissenschaftlerinnen und Bürgerinnen und Bürgern scheint aufgehoben. Keine ehrfurchtsgebietenden alten Herren mit weißen Bärten stehen auf hoher Kanzel, sondern aufgeschlossene Forscherinnen beugen sich von ihren Holzkisten zur Zuhörerschaft herunter. Der Ökotrophologin Selin Kubilay ist das beinahe zu viel: „Ich kam garnicht richtig zu meinem vorbereiteten Vortrag. Immerzu wurde ich unterbrochen“, sagt sie leicht frustriert und braucht nach ihrer Runde erst einmal eine Ruhepause.

Aber diese starke Interaktion liegt voll im Konzept. „Gerade durch scheinbar simple Fragen werden die Wissenschaftlerinnen gezwungen, von ihrer starken Fokussierung auf ihr Thema zur Außenperspektive zurückzukehren“, erklärt Carolina Doran, die Initiatorin des Projektes. Sie hat die Idee von Soapbox Science im Jahr 2017 von London nach Berlin gebracht. Dort ist sie entstanden, um Frauen in der Wissenschaft sichtbarer zu machen. Auch in Berlin herrsche immernoch ein Mangel an Diversität in den Institutionen, so Doran, die selbst Tierverhaltensforscherin ist. „Wir erhöhen die Sichtbarkeit der Frauen nach Außen, stärken ihnen aber auch das Selbstvertrauen in ihren eigenen Forschungsinstitutionen.“

Bei der Auswahl der insgesamt zwölf Rednerinnen achten die Organisatoren auf eine große Breite der Disziplinen und darauf, dass insbesondere Wissenschaften vertreten sind, in denen Frauen unterrepräsentiert sind: Mathematik, Informatik, Physik. „Wir sehen nicht alle wie Einstein aus, sondern sind ganz normale Menschen“, sagt Carolina Doran, die selbst Tierverhaltensforscherin ist. „Das wollen wir in der Öffentlichkeit zeigen und dabei die Distanz verringern.“

Inzwischen gibt es Soapbox Science in 42 Städten weltweit. Die Berliner Seifenkisten-Wissenschaftlerinnen treten einmal jährlich an der Weltzeituhr auf, nehmen aber auch an anderen Events wie der Science Week teil: Ausreichend Gelegenheiten, um selbst auch einmal mit einer engagierten Forscherin ins Gespräch zu kommen.

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