In den letzten Tagen haben mich zwei sehr gegensätzliche Nachrichten aus der Welt der Forschung zum Nachdenken über unsere Wissenschaftskultur gebracht:
1. Der Zwei-Jahres-Erfolg: In China wurde der Forscher He Jiankui von seiner Universität gefeuert. Im vergangenen November hatte er verkündet, dass das erste, von ihm genetisch veränderte Zwillingspaar zur Welt gekommen sei.
He hatte bei menschlichen Embryonen von HIV-positiven Paaren per Crispr-Cas ein Gen ausgeschnitten, das einen Eintrittsweg für die Viren in die Immunzellen kodiert. Dadurch wollte er die Embryonen HIV-resistent machen. Der wirkliche Nutzen dabei ist zweifelhaft: es gibt bewährte und wahrscheinlich wirksamere Methoden, die Übertragung von HIV von den Eltern auf das Kind zu verhindern. Das Risiko einer Infektion war ohnehin relativ gering, denn bei den Paaren war nur der Vater HIV-positiv. Es ist ebenfalls noch ungeklärt, welche genaue Funktion das ausgeschnittene Gen hat. Diese Manipulation kann also noch unvorhersehbare gesundheitliche Folgen für die Kinder haben. Und nicht zuletzt besteht bei der Technologie weiterhin die Problematik von unkontrollierten cross-Mutationen im Genom, die in vielen Experimenten beobachtet werden. Wissenschaftler weltweit sind sich einig, dass sie noch längst nicht ausgereift ist, um in der menschlichen Keimbahn angewendet zu werden. Zwei genetisch veränderte Babys sind jetzt geboren und ein internationaler Aufschrei ist die Folge: Verantwortungslosigkeit und Intransparenz wird He vorgeworfen. In China läuft ein Untersuchungsverfahren gegen ihn.
2. Das 500-Jahre-Experiment : Die erste Probe eines Experimentes einer internationalen Gruppe von Forschern zum Langzeitüberleben von Bakterienzellen, das auf 500 Jahre angelegt ist, wurde untersucht.
Das Experiment startete 2014 und wird im Jahr 2514 beendet sein. Mit größter Umsicht haben die Wissenschaftler das Experiment entwickelt. Dabei besteht die geringere Schwierigkeit in der Methodik: alle paar Jahre wird eines der zugeschweißten Glasröhrchen mit den getrockneten Bakterien aufgebrochen und die Anzahl der noch lebensfähigen Bakterien gezählt. Schwieriger ist es, über 500 Jahre die Information zu dem Experiment und die Instruktionen zu erhalten. Werden die unscheinbaren Glasröhrchen irgendwann vergessen und entsorgt? Soll man die Information auf einem USB-Stick, auf Papier, das alle paar Jahre wieder kopiert wird, oder doch besser in Stein gemeiselt aufbewahren? Wie schafft man eine Ausgangssituation, die ermöglicht, dass über all die Zeit immer jemand da ist, der sich verantwortlich erklärt? Was für eine Art von Wissenschaft – wenn überhaupt – wird im 26. Jahrhundert existieren? 500 Jahre zurück, im 16. Jahrhundert, erwachte die moderne Wissenschaft gerade erst: Kopernikus legte sein Weltbild dar, Paracelsus wandelte die Alchemie in eine wissenschaftliche Disziplin. Werden die Wissenschaftler im Jahr 2514 noch etwas mit der Idee der jetzigen Forscher anzufangen wissen? Das Konsortium aus britischen, amerikanischen und deutschen Forschern versuchte all das zu bedenken. Für sie ist die Fragestellung von größter Bedeutung, aber sie werden die Antwort selbst nicht bekommen.
Zeit, Vision und Erfolg in der Wissenschaft
Diese beiden Nachrichten weisen zwei Extreme des sehr breiten Spektrums der Wissenschaftskultur auf: In dem einen Extrem steht der Forscher, der in einer Hauruck-Forschung mit hochriskanter Technik, gegen den weltweiten Konsens von Wissenschaftlern und mit sehr fragwürdigem Nutzen am menschlichen Leben experimentiert. Im anderen Extrem ist eine Gruppe von Forschern, die ein Experiment, das über ihre eigene Lebensspanne weit hinaus geht, akribisch planen. Im einen Fall haben wir einen jungen Forscher, der mit einer sehr kurzen Sicht auf die Konsequenzen seiner Handlungen den schnellen persönlichen Erfolg sucht. Im anderen Fall steht die Vision im Mittelpunkt, die den beteiligten Wissenschaftlern keinen Ruhm zu Lebzeiten einbringen wird.
Während meiner Doktorarbeit war der Running Gag das Schicksal der Baumforscher, die im vis-a vis zu unserem Institut gelegenen Botanischen Garten arbeiteten. In unserer Vorstellung pflanzte ein armer Doktorand seine zu untersuchenden Setzlinge zu Beginn seiner Forschungsarbeit ein, um dann 10 oder 20 Jahre auf die Ergebnisse zu warten. Wir untersuchten E. coli Bakterien, die sich alle 20 Minuten verdoppeln, und konnten so jeden Tag Daten sammeln. Natürlich ist das Blödsinn, denn eine Baumforschungsarbeit ist einfach anders angelegt und man muss auch nicht erst die dicke Eiche fällen, um seine Dissertation verfassen zu können.
Aber unser Mitleid zeigt trotzdem ein Grundproblem der Wissenschaft: Eine Doktorarbeit ist auf drei Jahre angelegt, Förderzeiträume betragen maximal zwölf Jahre, aber meistens eher drei bis sechs Jahre. Währenddessen muss man sich um neue Gelder kümmern, aber das kann man nur, wenn man neue positive Ergebnisse vorweisen kann. Von einem Forscher, der „Exzellenz“ anstrebt (das heißt, der überleben will), wird erwartet, jedes Jahr mindestens ein Paper zu publizieren. Kurz: die Wissenschaft bewegt sich in kurzen Zeitabschnitten. Schnell durchführbare Experimente mit großer Aussicht auf Erfolg sind der Garant für das Weiterkommen. Dementsprechend bleibt die forscherische Vision oft begrenzt – und leider auch manchmal die ethische Umsicht.
In den beschriebenen Fällen zeigen sich die berühmten Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Die Fortsetzung der wissenschaftlichen Karriere von He Jiankui scheint unwahrscheinlich, denn sein Vorgehen schoß weit über das Ziel hinaus. Hingegen hat das 500-Jahre-Experiment den Vorteil, dass es nicht viele Ressourcen braucht und daher ein Einwerben von Geldern für die nächsten 500 Jahre erstmal nicht nötig sein wird.
Mich würde interessieren, worüber in 500 Jahren berichtet werden wird: Über He Jiankui als ersten Wissenschaftler, der gezielt menschlichen Nachwuchs verändert hat? Oder über das 500-Jahre-Experiment bei der feierlichen Öffnung des letzten Glasröhrchens?
Was denkt Ihr?
Da ich noch keine Kommentarfunktion besitze (Langzeitplanung), schreibt bitte an: info@wissen-schafft-kultur.de